Warum Webanalyse in keinen bestehenden Fachbereich gehört
“Die Webanalyse gehört in meinen Bereich!” höre ich bei meinen Einsätzen in Unternehmen sehr häufig. Ich höre es vom Online Marketing, von der IT (ok, von dort eher seltener 🙂 ), ich höre es vom Controlling. Und wisst ihr was? Sie alle liegen falsch. Und warum, das möchte ich euch in diesem Artikel näherbringen. Nur um das klarzustellen: Analysen müssen in allen Fachbereichen gemacht werden können. Und sie muss für alle Fachbereiche verfügbar und umsetzbar sein. Mir geht es um die fachliche Verantwortung, den strategischen Aufbau und die Sicherstellung von Qualität und Output innerhalb des Systems.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
Die Säulen einer guten Webanalyse
Um abzustecken, wo die Webanalyse am besten eingehängt wird, möchte ich noch mal darauf zu sprechen kommen, worauf es bei einer qualitativ guten Webanalyse ankommt. Aus den Erfahrungen vieler Projekte kann ich sagen, es kommt vor Allem auf drei Merkmale an:
- Gute Bedienbarkeit/Effizienz
- Bestmögliche Datenqualität
- Zielgerichtete Implementierung
Wenn diese drei Komponenten funktionieren, dann habe ich sehr gute Chancen!
Als Schaubild hier noch mal verdeutlicht:
In den folgenden Abschnitten gehe ich näher auf die Bedeutung der drei Bereiche ein.
Ein effizientes Web Analytics-Tool lässt sich einfach bedienen
Niemand mag komplizierte Frontends von Systemen. Nur leider werden diese Tools (gerade professionelle Tools, die Geld kosten) teilweise so kompliziert aufgebaut, dass niemand mehr einen Überblick hat. Genau das schreckt viele Anwender ab. Zu komplex, unverständlich und keiner weiß, wie gut die Datenqualität ist. Deshalb ist notwendig, dass das Tool der Wahl für die Webanalyse sinnvoll aufgebaut und einfach verständlich ist. Wenn ich ein System nicht verstehe, dann verwende ich es nicht. Und das geht mit Sicherheit einem Großteil deiner Arbeitskollegen genau so.
Die Datenqualität muss so gut wir irgend möglich sein
Ein großer Problemfaktor in Unternehmen ist das Vertrauen in die Webanalyse-Daten. Eben durch eine hohe Komplexität und (leider oft) mangelnde Qualitätskontrolle des zuständigen Implementierers, schleicht sich der eine oder andere Fehler ein. Je tiefergehende die Fragen der Fachbereiche sind, desto eher kommen diese Fehler dann ans Licht der Öffentlichkeit. Und wie sagt der Volksmund:
Ist der Ruf erst ruiniert…
Es gibt eine Vielzahl von möglichen Fehlerquellen. Es kann die Implementierung sein, aber auch externe Faktoren. AdBlocker unterbinden das Tracking, der böse Nutzer löscht ständig seine Cookies. Dennoch ist es möglich, die Differenz in (zum Beispiel) den Bestellungen eines E-Commerce-Shops niedrig zu halten. Bei einem Vergleich vom Data Warehouse und dem Web Analytics-Tool ist es definitiv möglich, die Verschieber auf deutlich unter 10% zu bringen.
Implementierung aus der Hölle muss vermieden werden
Bei dem Thema Implementierung wird es immer spannend. Oft starten Webanalyse-Projekte damit, dass eine JS-Bibliothek eingebunden wird, mit der das Tracking erst mal läuft. Dann kommt eine neue Anforderung. Diese baut der Implementierer ein, teilweise als Sonderlösung. Dann kommt die nächste Anforderung, die wird pragmatisch eingebaut. Und so weiter, und so weiter… und ehe du dich versiehst, hast du ein riesiges, großes Hexenhaus. Keiner weiß mehr, woher welche Daten kommen, wie sie hergeleitet sind, welche Definitionen dahinter stecken. Ich habe schon Projekte gesehen, wo vier (4!) unterschiedliche Versionen einer Web Analytics-Lösung in die Website eingebunden wurden. Das selbe System, der gleiche Hersteller. Aber anstatt eine Aktualisierung der Bibliotheken durchzuführen, wurde einfach eine neue hinzugefügt. Das kommt durch unterschiedliche verantwortliche Entwickler, durch Zeitdruck, oder durch mangelnde Sorgfalt. Hier haben wir natürlich eine direkte Auswirkung auf die Datenqualität. Da hilft dann nur noch einreißen und neu aufbauen…
Webanalyse im Online Marketing-Team eingehängt? Niemals!
Historisch bedingt liegt die Verantwortung für die Webanalyse oft im Online Marketing. Das kommt hauptsächlich daher, dass dort ein direkter Bedarf für die Daten liegt. Die (meisten) Online-Kampagnen werden dort gesteuert. Die Anforderungen an das Web Analytics-Tool gehen hauptsächlich in die Richtung, diese Kampagnen analysieren zu können und die Daten mit denen der Dienstleister zu vergleichen (oder auch anzureichern). Das berühmte händlerische Agieren zwingt die Abteilung dazu, pragmatisch an die Analyse heranzugehen. Die Daten sind schnell verfügbar, schieben sich quasi von alleine zusammen. Jedoch ist hier die Sorgfalt oft ein Problem. Die Systeme liefern schnell Daten. Das verleitet gerne dazu, dass diese Daten niemand hinterfragt. Sie stehen schwarz auf weiß geschrieben. Also müssen sie doch stimmen!
Leider weit daneben. In den meisten Online Marketing-Abteilungen sind die Maßgaben schlicht anders als notwendig. Hier gibt es (häufig, nicht immer) nicht den Anspruch, Daten so konsistent und genau wie möglich zu halten, solange es nicht dem Auftrag der Abteilung nutzt. Auch gibt es in den meisten Teams nicht das technische Know how oder die erforderlichen Freigaben, um am Code tatsächlich etwas anzupassen. Am häufigsten fehlt es aber an beidem.
Somit sind zwei der drei Säulen schon mal gestrichen, nämlich “Bestmögliche Datenqualität” und “Zielgerichtete Implementierung”. Und nun? Kann die Aufgabe der Webanalyse beim Controlling liegen?
Die Aufgabe im Controlling – damit tut sich keiner einen Gefallen
Kommen wir nun zum krassen Gegenteil vom Online Marketing: Das Controlling. Das (gefühlte) Stiefkind des Unternehmens hat eine große Verantwortung, die aber eigentlich niemand mag. Die gesammelten und dort auftauchenden Daten müssen konsistent, nachvollziehbar und vor Allem valide sein. Natürlich ist es für das Unternehmen entscheidend, dass die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse stimmen und steuerrechtlichen sicher aufgesetzt sind. Die Bestelldaten aus dem Content Management System müssen für die Auftragsbearbeitung zu 100% stimmen, da darf es keine Ausnahmen geben.
Dieser Anspruch ist absolut berechtigt, jedoch in der Webanalyse unrealistisch. Über mögliche Unschärfen habe ich weiter oben ja bereits referiert. Alleine dieses Thema kann einen eigenen Blog für mehrere Jahre auslasten. Klar, die Daten in der Webanalyse müssen so genau, wie irgendwie möglich sein. Aber die Aufgabe eines solchen Systems ist schlicht eine andere, als zu 100% saubere Daten zu liefern. Es liefert Hinweise, wo auf der Plattform es Auffälligkeiten innerhalb der Plattform gibt. Es liefert Hinweise darauf, welche Kampagnen welchen Effekt im Onlineshop erzielen. Und es liefert Informationen, welche Nutzer sich wie auf der Plattform verhalten.
Zusätzlich fällt bei einer Controlling-Denkweise zu 90% aller Fälle der Pragmatismus weg Der ist in der Analyse von Webdaten aber zwingend notwendig. Analysten heben situativ und iterativ Datenschätze für Fachbereiche. Sie zeigen Potentiale auf und erstellen Hypothesen zu A/B-Tests auf Basis der Webanalyse-Daten. Und dafür ist die Fragestellung, ob der Umsatz € 258.765,67 beträgt, oder € 258.763,17 nicht relevant. Hierfür benötigst du einen Webcontroller. Keinen Webanalysten.
Und nebenbei: Kein Controller will Code programmieren, der sich nicht um die Statistik dreht. Keiner 🙂 Auch hier fallen also zwei der notwendigen drei Säulen aus, nämlich “Bedienbarkeit/Effizienz” und “Implementierung”.
Uns bleibt also nur noch eine Hoffnung… oder?
Der Entwickler ist der Tod einer strategisch aufgesetzten Webanalyse
Eine gewagte Aussage, das weiß ich. Aber in 99,99% der Fälle ist es harte Realität. Und warum, das erläutere ich sehr gerne. Entwickler machen vor Allem eines: Sie programmieren Code. HTML, CSS, JavaScript und wie sie alle heißen. Sie verbinden Data Warehouses mit Content Management Systemen und programmieren Schnittstellen.
Aber: Ein Entwickler kennt im Normalfall nicht die inhaltliche Bedeutung der Daten. Nur weil Daten einlaufen heisst es nicht, dass sie auch korrekt sind, oder gar ihrer Bestimmung entsprechend ins Tool einfließen. Es ist notwendig, dass die Fachanforderungen aus Online Marketing und Controlling nicht nur technisch “irgendwie” umgesetzt werden. Sie müssen inhaltlich stimmen, aber sie müssen auch so in die Webanalyse fließen, dass die richtigen Auswertungen daraus entstehen. Es kommt darauf an, in welche Felder/Parameter diese Informationen kommen. Und wie sie von der Struktur her aussehen. So muss zum Beispiel die Struktur der Seitenbezeichnungen passen und so über alle Seiten konstant bleiben. Hierzu habe ich einen wunderbaren Zweiteiler geschrieben: Auswerten von Webdaten – Teil 1.
Es ist also immer notwendig, dass Entwickler und Fachanforderer gemeinsam eine Lösung für die Datenströme entwickeln. Liegt das Tool aber in der IT, findet genau dieser Austausch nicht statt. Wenn doch, dann ist er häufig zu oberflächlich oder ungenau. Du ahnst es sicherlich. Liegt die Webanalyse in der IT, dann fallen somit die beiden Säulen “Bedienbarkeit/Effizienz” und “Bestmögliche Datenqualität” aus. Auch die Säule “Zielgerichtete Implementierung” erfüllt diese Konstellation bestenfalls nur teilweise.
Und nun? Die Abteilungen gehen uns langsam aus… Wie also sieht die Lösung aus?
Die Lösung ist weder A, noch B, noch C, sondern etwas ganz anderes
Das Dilemma ist offensichtlich. Keine der alteingesessenen Abteilungen kann die Aufgabe der Webanalyse wirklich alleine ausfüllen. Nun gibt es mehrere Möglichkeiten.
1. Ich mache ein fachübergreifendes Projekt daraus
Eine Option ist mehrere Teammitglieder aus den unterschiedlichen Fachbereichen in eine Projektstruktur zu bringen. So sind im besten Fall sämtliche Disziplinen abgedeckt und das Team kann gemeinsam die Anforderungen erfüllen. Dieses Vorgehen hat allerdings entscheidende Nachteile:
– Ein Projekt hat immer einen Anfang und ein Ende
– Ein Projekt hat (normalerweise) nur begrenzte fachliche Ressourcen
– Ein Projekt hat nie die Akzeptanz wie eine Fachabteilung
Für einen Pilot-Versuch ist eine projektartige Struktur sinnvoll. So kann das Unternehmen testen, ob das Verhältnis zwischen Input und Output passt.
2. Ich installiere eine neue Abteilung, die unabhängig agieren kann
Der aus meiner Sicht nachhaltige Weg ist die Schaffung einer neuen Abteilung. Diese Abteilung muss zwingend unabhängig von anderen Fachbereichen handlungsfähig sein. Sie koordiniert die fachlichen Anforderungen. Sie definiert die notwendigen Parameter zur technischen Umsetzung oder setzt sie sogar selbst um. Und sie führt die dringend notwendigen Maßnahmen zur Qualitätssicherung durch.
Eine weitere wichtige Aufgabe für die Abteilung: Sie muss den anderen Fachabteilungen das Tool beibringen und mit Rat und Tat zur Seite stehen:
– Welche Kennzahlen muss ich für welche Frage verwenden?
– Wie sind die Daten zu lesen, die das System mir gibt?
– Was sagen mir die gezeigten Daten?
– Kann ich den Daten vertrauen?
– Wie baue ich eine gute Analyse auf?
Diese Aufgaben kann das Team nur bewältigen, wenn fundiertes Wissen aus allen zentralen Fachbereichen vereint wird.
Wir brauchen also in dieser Abteilung mindestens einen Mitarbeiter aus den folgenden Fachrichtungen:
- Online Marketing-Experte für Performance-Kanäle
- Experte für technisches SEO und ggf. Content-Erstellung
- Frontend-Entwickler mit entsprechenden Kenntnissen
- Controller, der Qualität und Konsistenz der Daten bewerten kann
- Webanalyst, der das Web Analytics-Tool kennt, die Daten analysieren und Potentiale aus den Daten erkennen kann
Optional sollten in der selben Fachabteilungen Mitarbeiter für folgende Aufgaben dazustoßen:
- Statistiker
- Datenbankprogrammierer
- Experte für A/B-Tests
- Marktforscher
Mit einem Team, dass diese Fachbereiche abdeckt, ist dein Unternehmen auf einem guten Weg.
Viel Spaß beim nachbauen! 😉