Tag Management im Business-Alltag. Wo stehen wir?
Tag Management ist in aller Munde. Soll ich als Unternehmen Tag Management einsetzen? Was spricht dafür, was spricht dagegen? Zu diesem spannenden Thema habe ich mich mit Justus Blümer zu einem Interview getroffen.
Justus hat in seiner Laufbahn in der Webentwicklung besondere Erfahrung mit Datenbanken und Programmierung. Deswegen liegt sein Fokus in Sachen Webanalyse auch in der Implementierung und Tag Management. Sein Faible für JavaScript / node.js macht ihn zum Experten für Crawling, Datenerhebung und Automatisierung, was bei der Optimierung insbesondere bei großen Portalen mit vielen hunderttausenden Seiten hilft. Mit denen hat er als Consultant bei Wingmen Online Marketing (Zur Website der Wingmen) mit Fokus auf SEO und Webanalyse täglich zu tun.
Hallo Justus! Es ist mir wieder mal eine Ehre! Bitte stelle dich für die Leser einmal ganz kurz vor. Wer bist du, was machst du, welchen Bezug hast du zu Web Analytics/Digital Analytics?
Ich beschäftige mich als Online Marketing Berater vor allem mit Suchmaschinenoptimierung und Webanalyse. Von der Entwickler-Seite bin ich damals in den Marketingbereich und zu SEO gewechselt, weil ich damit mein Faible für Technik mit wirtschaftlichen Themen kombinieren konnte. SEO ist und bleibt zumindest für die meisten Unternehmen der spannendste Kanal im Online Marketing. Fast alle SEO-motivierten Maßnahmen haben einen positiven Impact auf größere Aspekte und andere Disziplinen: Relevanterer Text auf Landingpages beispielsweise hilft richtig umgesetzt nicht nur dem Suchmaschinen-Ranking, sondern auch der Conversion Rate, sorgt für höhere AdWords-Qualityscores, niedrigere CPCs und so weiter.
Irgendwann muss man sich aber immer der Bewertung der eigenen SEO-Arbeit stellen und die Frage beantworten, wie viel der akquirierte Traffic überhaupt wert ist und wie er sich in harte Euros umrechnen lässt.
– Welche Seiten funktionieren so wie sie sollen?
– Welche Position hat der Kanal SEO im Lauf der Customer Journey?
– Wann haben sich die Kosten für meine 1000 eingekauften Texte durch positive Trafficeffekte amortisiert?
Solche Fragen muss man beantworten können, sonst arbeitet man im Blindflug und das bedeutet Ressourcenverschwendung, Optimierung unwichtiger Problemstellen oder der Konzentration auf falsche KPIs, z. B. wie in deinem Artikel über Page Impressions als KPI.
Du bist als Consultant viel bei Unternehmen vor Ort tätig. Für welche Art von Aufgaben wirst du geholt?
Mit einer 5-Minuten-Implementierung des Google Analytics Pixels ist es (…) leider nicht getan (…)
Dieser Blindflug findet noch in viel zu vielen Unternehmen statt. Mit einer 5-Minuten-Implementierung des Google Analytics Pixels ist es bei den meisten Geschäftsmodellen leider nicht getan, um wirklich nutzbare Daten zu generieren. Das ist meine Hauptrolle im Bereich Web Analytics: Die Anforderungen an die Datenerhebung aufzusetzen, die Umsetzung zusammen mit den Entwicklern erledigen und die Folgen und neuen Möglichkeiten in den einzelnen Teams zu kommunizieren.
Welche Situation findest du häufig vor, wenn du mit dem Projekt startest?
Meistens gibt es bereits einen, manchmal auch mehrere Verantwortliche, die mit dem Thema Webanalyse bereits recht intensiv beschäftigt sind, das sind aber sehr selten diejenigen, die auch die Implementierung verantworten. Das bringt einige Fallstricke mit sich.
Erstens: Oft ist nicht 100% klar, wie technische Gegebenheiten Einfluss auf bestimmte Metriken nehmen, weil das Knowhow für die Überprüfung der Datenerhebung fehlt. Interne Nutzung von Kampagnenparametern oder mehrfach eingebaute Trackingcodes, die zu mehreren getrackten Seitenaufrufen führen sind Beispiele von den kleineren Fehlern, die große Auswirkung auf die eigentliche Bedeutung von Zahlen und ihre Interpretation haben können.
Webanalyse wird bei der Entwicklung und Konzeption des Projekts nicht mitbedacht.
Zweitens: Webanalyse wird bei der Entwicklung und Konzeption des Projekts nicht mitbedacht. Es ist ein beliebter Irrglaube, man könne Webanalyse jederzeit und einfach über ein Projekt stülpen und dann funktioniert das Tracking so wie es soll. Das ist durchaus auch Resultat der gefährlichen Heilsversprechen der Tag-Management- und Toolanbieter. Dabei ist das Gegenteil der Fall: In der Webanalyse können wir nur mit den Daten arbeiten, die wir von der der Website bekommen und dafür ist die Zuarbeit und die enge Kooperation zwischen Analyse und Entwicklung unabdingbar.
Drittens: Es fehlen einfach die nötigen Ressourcen und Unterstützung wird dringend gebraucht.
Harter Einbau von Tags/Pixeln auf der Website versus Tag Management. Was ist besser und warum?
Tag Management ist fast immer die bessere Lösung
Tag Management ist fast immer die bessere Lösung, denn es entkoppelt das Tracking von der Plattform ähnlich wie ein Content Management System die Technik einer Website vom Inhalt trennt. So wie das CMS dem Redakteur die Möglichkeit gibt, einen Websiteinhalt ohne ständigen IT-Support zu bearbeiten, hat der Analyst oder Marketer die Möglichkeit, selbst zu implementieren. Das reduziert – wenn man es richtig macht – die Aufwände der IT-Abteilung und hält den Code der Plattform freier von Logik, die eigentlich nichts mit dem Produkt selbst zu tun hat.
Welche Vor- und welche Nachteile hat dieser Weg der Implementierung?
Der größte Vorteil von Tag Management für Analyse und Marketing ist mehr Selbstbestimmtheit. Man kann an den bestehenden Prozessen vorbei selbst Implementierungen vornehmen, auf die man sonst Wochen oder Monate gewartet hätte. Mit der eingebauten Versionierung hat man stets den Überblick wann was live gegangen ist und kann das Tracking vor der Veröffentlichung selbst vorher in Ruhe testen anstatt das einem Entwickler zu überlassen, der in den einzelnen über den Tag Manager angebundenen Tools und ihren Anforderungen weniger erfahren ist.
Der größte Vorteil von Tag Management für Analyse und Marketing ist mehr Selbstbestimmtheit.
*Diese Freiheit ist gleichzeitig auch der größte, systemimmanente Nachteil. Geht man ohne Plan und Struktur vor, hat man schnell riesige Tag Manager Container mit hundert Implementierungen in kryptischen Bezeichnungen von 5 verschiedenen Mitgliedern aus unterschiedlichen Teams und am Ende ist jede Wartbarkeit verloren.
Wer Zugang zum Tag Management hat, hat Vollzugriff auf die Website (…)
Wer Zugang zum Tag Management hat, hat Vollzugriff auf die Website und kann mit einem Klick alles lahmlegen und befindet sich außerhalb sonstiger Kontrollmechanismen wie Unit Tests, die in der IT-Abteilung sicherstellen, dass nur voll funktionsfähige Versionen livegestellt werden können.
Welche (größten) Fehler machen Unternehmen aus deiner Sicht, wenn es um Web Analytics, Online Marketing und insbesondere Tag Management geht?
Der größte Fehler ist meistens, Webanalyse zu vernachlässigen und das daraus resultierende Fehlen von echten internen Experten in dem Bereich. Zu oft wird das Thema dem Falschen aufgedrückt und mündet in einer lieblosen Google Analytics Standardimplementierung, aus der ein insightfreies monatliches Reporting mit irgendwelchen hoffentlich steigenden Kurven generiert wird.
Natürlich ist ein Webanalyst oder ein ganzes Team dafür teuer, aber die positiven Auswirkungen können erheblich sein, wenn der- oder diejenige zum unternehmensweiten Ansprechpartner mit ausgeprägter Produktdenke wird und Fragen aus Produktmanagement, Technik und Marketing zahlenbasiert beantworten kann.
Das gleiche gilt auch für Tag Management mit dem Unterschied, dass falsche Implementierung hier schnell Schaden verursachen kann. Falsche Daten fallen in der Regel nicht sofort auf, können auch nur begrenzt über automatisiertes Testing verhindert werden und lassen sich kaum nachträglich korrigieren.
Mit welchen Abteilungen bist du am häufigsten in Kontakt, wenn du vor Ort bist?
Nach Häufigkeit absteigend sortiert:
1. Webanalyse (sofern es sie gibt)
2. Produktmanagement
3. (Online-)marketing
4. IT
Und sind das tatsächlich alle relevanten Stakeholder? Oder welche Abteilungen fehlen regelmäßig in der Anforderungsaufnahme? Woran liegt es aus deiner Sicht, dass diese Abteilungen gerne vergessen werden?
Ich denke es ist seltener der Fall, dass bestimmte Abteilungen vergessen werden. Häufiger sehe ich eher den Fall, dass es gar keine richtige Anforderungsaufnahme gibt, sondern stattdessen viel Kleinstarbeit an einzelnen Fragestellungen. Oft wäre es aber sinnvoller, für jedes Team die Anforderungen zuerst komplett aufzunehmen und dann passende Reports oder Dashboards aufzusetzen, bei deren Weiterentwicklung automatisch alle profitieren.
Bei wachsenden Unternehmen wird es ohnehin nicht möglich sein, jede Frage durch den Webanalysten selbst beantworten zu lassen. Die meisten kleineren Analysen lassen sich aber auch mit entsprechendem Grundlagenwissen im self-service durchführen, was einerseits für mehr Geschwindigkeit sorgt und andererseits dem Webanalysten die Möglichkeit gibt, seine Ressourcen für die Weiterentwicklung des ganzen Systems zu nutzen.
Justus, vielen Dank für das sehr spannende Interview!